ARCHIV 2021


DIE TÄNZERIN VON AUSCHWITZ

NEUER TERMIN!

 Ausstellungseröffnung am 3. Juni 2021 / St. Marienkirche Stendal

 

Paul Glaser stieß 1987 auf die Geschichte seiner Tante Roosje Glaser. Er besuchte sie in ihrer neuen Heimat Schweden und recherchierte ihre Lebensgeschichte anhand von Tagebüchern und Briefen. Die eindrückliche Wanderausstellung mit Fotos, Filmausschnitten, Texten und persönlichen Gegenständen wurde vom niederländischen Museum »Erinnerungszentrum Lager Vught« erstellt und von der Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Stadtgemeinde Stendal ermöglicht. 

 

Sie war in den Räumen des Altmärkischen Museums geplant, musste jedoch wegen der Hygienebestimmungen verschoben werden und kann nun vom 3. Juni bis 28. Juli 2021 in der St. Marienkirche am Marktplatz Stendal von Montag bis Freitag 10 bis 17 Uhr und Sonnabend 10 bis 12 und 14 bis 16 Uhr besucht werden. 

Hinweis


Für Gruppen und Schulklassen gibt es die Möglichkeit, sich während der Öffnungszeiten der Marienkirche durch den Verein »KinderStärken« durch die Ausstellung führen zu lassen. Wenn Sie Interesse an einer solchen Führung und einem anschließenden Workshop haben, wenden Sie sich bitte direkt an Mathilde Grauer-Nottrott vom Verein »KinderStärken«, Regionalkoordination Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage im Landkreis Stendal, Tel.: 0172 – 328 84 69, E-Mail: mathilde.grauer@kinderstaerken-ev.de 

Zivilgesellschaft, Emanzipation und Heterogenität

Vortrag von Dr. Lutz Fiedler

Montag 25. Januar 2021 / Theater der Altmark, nur online

Dr. Lutz Fiedler / Foto: Aud Merkel
Dr. Lutz Fiedler / Foto: Aud Merkel

»Denken ohne Geländer« 2021 wurde am 25. Januar mit einem Vortrag von Dr. Lutz Fiedler eröffnet. Der Experte für jüdische Geschichte forscht am Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg an der Humboldt-Universität zu Berlin und lehrt an der Hochschule Heidelberg Israel- und Nahoststudien. Unter der Überschrift »Zivilgesellschaft, Emanzipation und Heterogenität« nahm er sein via Zoom zugeschaltetes Auditorium mit durch einen Abriss jüdischer Geschichtserfahrungen im 19. und 20. Jahrhundert. 

 

Ausgehend von der französischen Revolution 1789 zeichnete Lutz Fiedler nach, wie die Entwicklung des modernen, territorialen Nationalstaates die traditionelle Lebensweise von Jüdinnen und Juden herausforderte. Der Kerngedanke: Aus einem Kollektiv ohne eigenes Territorium, das über ein hohes Maß an kollektiver Selbstverwaltung verfügte, wurde das Judentum konfessionalisiert und wurden Juden zu nationalen bzw. religiösen Minderheiten, die um ihren Platz in der Gesellschaft kämpfen müssen. Dabei führen verschiedene geopolitische Konstellationen und Erfahrungen zu einem unterschiedlichen Selbstverständnis. Während sich Juden in Osteuropa als verstreutes Volk begreifen und ihre Anerkennung als Nation anstrebten, wandelte sich das Judentum in Westeuropa »von einem Rechtssystem zum bloßen Glauben«, so Dr. Fiedler.

 

Die Konfessionalisierung wird zu einer Strategie, um sich zu emanzipieren. »Es ging so weit, dass in Synagogen Orgel gespielt und in Gotteshäusern deutsch gesprochen wurde. Damit verbindet sich die Vorstellung von Seiten der Mehrheitsgesellschaft, Juden müssen so werden wie wir, damit sie Teil des Gemeinwesens werden können«, erklärte der Referent. Die Folge sind mehr oder weniger (un)freiwillige Assimilationsstrategien. Diese historische Erfahrung von Jüdinnen und Juden in Deutschland führte ihn zu der hoch aktuellen Frage: »Wie geht Mehrheitsgesellschaft mit Differenzen um? Wie stark ist die Teilhabe am Gemeinwesen immer noch von der Erwartung der kulturellen Assimilation geprägt? Wie können wir Differenz viel stärker als Teil von Gemeinwesen begreifen?« 

 

Damit schloss der Eröffnungsvortrag den Kreis zum Anliegen der Woche »Denken ohne Geländer«, die von den Veranstaltenden mit begrüßenden Worten eingeleitet wurde. Theaterintendant Wolf E. Rahlfs verwies angesichts der aktuellen Entwicklungen »am scheinbaren Rand der Gesellschaft« darauf, wie wichtig ein faktenreicher, offener, transparenter Dialog geworden ist. Stichworte: Querdenker, Kapitol und Reichstag. »Die Themen, um die es hier geht: Antisemitismus, jüdisches Leben, offene Gesellschaft sind durch Corona nicht vom Tisch, sie haben an Brisanz zugenommen«, sagte der Intendant. Cornelia Habisch, stellvertretende Direktorin der Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt, knüpfte dort an und hob die besondere Qualität der Woche hervor, die in der Kooperation von Zivilgesellschaft, Bürgerschaft, Wissenschaft, Kultur, Hochschule, verschiedener Schulen und vieler weiterer Partner liege. Die Reflexion des historischen Anlasses, die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, sei nach wie vor wichtig. 

 

»Das Gedenken rund um den 27. Januar ist ein wesentlicher Kern dieser Woche«, so Prof. Katrin Reimer-Gordinskaya von der Hochschule Magdeburg-Stendal. Das darauf bezogene »Denken ohne Geländer« solle dabei auch die Vor- und Nachgeschichte des Holocaust bis in die Gegenwart in den Blick nehmen: »Wir selber sind Adressat*innen, um miteinander ins Gespräch zu kommen, nachzudenken und reflektierter zu werden. Es geht um die Fragen: Wie können wir eine neue Gedenkpraxis entwickeln und (auch dadurch) das gegenwärtige Miteinander so gestalten, dass sich eine solidarische Gesellschaft entwickelt?«

 

Bericht: Edda Gehrmann

Hinweise


Postsäkulare Politik? Emanzipation, jüdische Erfahrungen und Gemeinschaften heute. Herausgegeben von Christian Schmidt und Lutz Fiedler, voraussichtlich lieferbar ab 26.5.2021

 

Im Internet kann die als Buch bearbeitete Dissertation von Dr. Lutz Fiedler heruntergeladen werden:

(PDF) Matzpen. Eine andere israelische Geschichte | Lutz Fiedler - Academia.edu

Perspektivwechsel – Masel Tov Cocktail

Studierende diskutieren mit Schülern über den Film

Montag 25. Januar 2021 / Hochschule Magdeburg-Stendal, nur online

Am 25. Januar sahen sich Studierende der Hochschule Magdeburg-Stendal im Rahmen von »Denken ohne Geländer« gemeinsam mit Schüler*innen einer 10. Klasse des Osterburger Markgraf-Albrecht-Gymnasiums, das am Projekt »Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage« teilnimmt, den Kurzfilm »Masel Tov Cocktail« von Arkadij Khaet und Mickey Paatzsch an. Danach wurden in digitalen Räumen in Kleingruppen und abschließend in einer gemeinsamen Runde die vielschichtigen Themen des Filmes diskutiert. Es ging vor allem darum, sich von der Perspektive des 16jährigen Protagonisten Dima irritieren zu lassen: Als Sohn sowjetisch-jüdischer Einwanderer ist er genervt von den unreflektierten Zuschreibungen seiner nichtjüdischen Mitschüler*innen und Lehrer*innen. Für die Schüler*innen aus Osterburg war diese Sichtweise neu. Lehrer Clemens Fischer schickte uns ihre Eindrücke: 

 

… also ich fand den Film interessant, vor allem mal aus einem anderen Blickwinkel gedreht auch wenn manche Sachen vielleicht ein bisschen überspitzt waren … wobei ich es auch sehr schön fand mit Leuten, die da richtig so ein Programm haben und sich damit auskennen, eine Austauschmöglichkeit zu haben … der Film half auch nochmal dabei zu zeigen, dass Antisemitismus und alles drum herum auch heute noch sehr aktuell ist … ich habe gewusst, dass der Antisemitismus in unserer heutigen Gesellschaft noch ein Problem ist, aber nicht, dass es so schlimm einzelne Personen betrifft und das manche Menschen nicht einmal vernünftig mit Juden reden können 

… den Film fand ich auch sehr interessant und aufschlussreich. Er war auch gut gemacht und vor allem auch für die jüngere Generationen sehr ansprechend. Dieses Projekt an sich finde ich auch sehr wichtig. Man sollte viel darüber sprechen und es auf keinen Fall in Vergessenheit geraten lassen. Es war sehr gut, dass man erst in kleine Gruppen aufgeteilt wurde und jeder die Chance hatte seine Gedanken zu dem Thema zu äußern … die Diskussionsrunde am Ende hat mir gut gefallen. Allerdings fand ich auch, dass die Leute untereinander teilweise sehr themenspezifisch geworden sind bzw. in Themen abgetriftet sind, die wir noch nicht unbedingt verstehen / uns damit auskennen. Dadurch fiel es einem an manchen Stellen ein wenig schwer ihnen zu folgen. Aber so an sich fand ich das Projekt sehr interessant und aufschlussreich … außerdem fand ich gut, dass wir nicht nur untereinander darüber gesprochen hatten, sondern auch ein Moderator (Student/in) der oder die das Eis gebrochen haben. Natürlich wäre es noch ein wenig lockerer gewesen hätten wir uns alle in Person gesehen, aber das geht ja leider nicht unter den gegebenen Umständen. Es war lehrreich und man hat viele Sachen aus einer neuen Perspektive gesehen. Ich hoffe wir machen so etwas noch mal. Viele Grüße … also ich fand es gut, sich mal so über das Thema zu unterhalten und das auch von mehreren Zuhören auch die Gespräche in den kleinen Gruppen fand ich sehr gut. Den Film fand ich auch gut gemacht, ich fand es an manchen Stellen vielleicht bisschen übertrieben, weil man das bei uns nicht so kennt und ich mir nicht vorstellen konnte, dass es so schlimm ist, aber im allgemeinen fand ich alles sehr gut …

Positionen zuR jüdischen Gegenwart

Redakteurinnen der Zeitschrift »Jalta« im TdA-»Zeit.Zeugen«-Gespräch

Montag 25. Januar 2021 / Theater der Altmark, nur online

Lea Wohl von Haselberg / Foto: privat

Anna Schapiro / Foto: Meret Freisen


Jalta ist der Name eines Badeortes auf der Krim, der durch eine historische Konferenz im Februar 1945 weltbekannt wurde: Die Alliierten legten dort die Aufteilung Deutschlands nach Kriegsende fest. Den Namen Jalta trägt auch eine wütende, laute Frau aus dem Talmud – eine der wichtigsten Schriften des Judentums – die mit den Hierarchien bricht. Und »Jalta« heißt eine noch junge Zeitschrift mit der Überschrift »Positionen zur jüdischen Gegenwart«. Die Assoziationen zum Titel sind gewollt. Mit Anna Schapiro und Lea Wohl von Haselberg  hatte das Theater der Altmark am 25. Januar 2021 zwei der sechs Herausgeber*innen in seine »Zeit.Zeugen«-Reihe eingeladen, die dieses Mal im Rahmen von »Denken ohne Geländer« stattfand. Dramaturg Tristan Benzmüller moderierte das Online-Gespräch über eine bemerkenswerte Publikation, die im Zeitalter der schnellen, oft oberflächlichen multimedialen Kommunikation in vielfacher Hinsicht gegen den Strom schwimmt. Schauspielerin Kathrin Berg las Auszüge aus literarischen und journalistischen Texten.

 

»Jalta« ist eine gedruckte Zeitschrift, fast schon ein Buch, mit langen, tiefgründigen Beiträgen. Sie erscheint unregelmäßig, zweimal im Jahr, und nimmt sich Zeit, die Gedanken zu entfalten. 2017 kam die erste Ausgabe mit dem Schwerpunkt »Selbstermächtigung« heraus – das Thema war nicht zufällig gewählt. »Wir wollten eine andere Kommunikation. Wir wollten diesen Raum und wir schaffen uns den jetzt!«, beschreibt Anna Schapiro die Aufbruch-Stimmung. Sie studiert damals in Dresden Bildende Kunst. Es ist die Zeit, als Pegida gerade erst beginnt zu marschieren, Trump noch nicht gewählt ist und sich Josef Schuster, der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, für eine Obergrenze bei der Aufnahme von Geflüchteten ausspricht. »Das spiegelte nicht die Meinung in unserem Kreis wider«, sagt Anna Schapiro. Die aktivistische Sicht von jungen, studierenden Jüdinnen und Juden trifft sich mit der im Neofelis-Verlag bereits länger gehegten Idee, ein früheres intellektuelles jüdisches Forum fortzusetzen. Nun wird ein neues daraus: »Jalta«.

 

»Die oft vereinzelten Positionen zur jüdischen Gegenwart wollen wir zusammenbringen und darüber hinaus gemeinsam Fragen von gutem Zusammenleben, gesellschaftlichen Verhältnissen und Emanzipation verhandeln«, schreiben die Herausgeber*innen im Vorwort zur ersten Nummer. Zu ihnen gehören neben der bildenden Künstlerin Schapiro und der Film-, Theater- und Medienwissenschaftlerin Wohl von Haselberg ein Erziehungswissenschaftler, eine Psychologin, ein Politikwissenschaftler und eine Philosophin. Bisher sind sieben Ausgaben von „Jalta“ erschienen und ein wachsendes Kollektiv jüdischer und nicht-jüdischer Autor*innen bringt seine Perspektiven ein. Die Zeitschrift greift u. a.  feministische Positionen, postmigrantische Themen, Antisemitismus, Rassismus, den Diskurs innerhalb der jüdischen Gemeinschaft und jüdische Kulturgeschichte auf. Sie legt Wert auf Sichtweisen, die anderswo wenig oder keinen Platz bekommen. Künstlerische Beiträge stehen gleichberechtigt neben wissenschaftlichen Essays, Gedichte neben Arbeiten aus der bildenden Kunst. »Jalta ist auch ein Versuchsraum. Die Vielfalt, die wir abbilden wollen, ist auch eine Vielfalt der Formen«, erklärt Lea Wohl von Haselberg. »Es ist kein Magazin für den innerjüdischen Diskurs oder die Mehrheitsgesellschaft. Es geht um eine gemeinsame Gegenwart.«

 

Eine Gegenwart, auf die noch immer der Schatten einer ungeheuerlichen Vergangenheit fällt. Jüdinnen und Juden von heute wollen jedoch nicht auf ein Schattendasein reduziert werden, in dem ihnen die nicht-jüdische Mehrheitsgesellschaft bestimmte Rollen und Identitäten im Umgang mit der nationalsozialistischen Geschichte zuschreibt. Im Verlagstext zu »Jalta« heißt es: »Was Juden und Jüdinnen heute in Deutschland sind, kann nicht mehr nur im Kontext der Shoah, des Antisemitismus und Israels erfasst werden.« Tristan Benzmüller zitiert diesen Satz während des Gesprächs und fragt seine Gäste zu deren Verständnis.

 

»Es geht nicht darum, um diese Themen herumzukommen«, antwortet Lea Wohl von Haselberg. »Aber wenn wir uns permanent in der Zuschreibung der Dominanzgesellschaft denken, dann verlieren wir uns auch. Dann ist die Frage: Wer können wir noch sein?« Diese Zuschreibungen zu brechen bedeute aber nicht, dass die Shoah, Antisemitismus und Israel keine Relevanz mehr hätten. Die Macher*innen von »Jalta« fragen vielmehr danach, welche Bedeutung diese Aspekte neben anderen haben können. Sie wollen klar machen, wie unterschiedlich jüdische Biografien sind. »Nicht alle Jüdinnen und Juden in Deutschland sind Enkel von Menschen, die aus dem Konzentrationslager befreit wurden. Ein ganz großer Teil hat die Shoah im sowjetischen Asyl in Zentralasien überlebt«, sagt Lea Wohl von Haselberg. Anna Schapiro ergänzt: »90 Prozent der heute in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden in Deutschland sind seit den 1990er-Jahren aus der Sowjetunion gekommen. Und auch diese Einwander*innen haben absolut unterschiedliche Geschichten.«

 

»Jalta« macht auf die Vielfalt der Zugänge, Erfahrungen und Perspektiven, durchaus auch auf Widersprüche, aufmerksam. Eine Entdeckung und unbedingte Empfehlung. 

 

Bericht: Edda Gehrmann

Hinweise:


Alle bisher erschienen Ausgaben der Zeitschrift können beim Neofelis-Verlag bestellt werden. Auf der Verlagswebsite gibt es ausführliche Leseproben. »Jalta« erscheint auch als E-Book.

 

Jalta | Neofelis Verlag (neofelis-verlag.de)

Leseprobe zum Thema »Gegenwartsbewältigung«

Leseprobe aus der Eröffnung der ersten Ausgabe zum Thema »Selbstermächtigung«

GEDENKSTÄTTE FELDSCHEUNE ISENSCHNIBBE GARDELEGEN

Aktion #LichterGegenDunkelheit

26. Januar 2021 und 28. Januar 2021 / Gedenkstätte Feldscheune Isenschnibbe Gardelegen

©  Gedenkstätte Gardelegen
© Gedenkstätte Gardelegen

Wegen der Corona-Pandemie finden in der Gedenkstätte Feldscheune Isenschnibbe Gardelegen keine öffentliche Veranstaltung zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus und auch keine Führungen im Rahmen von »Denken ohne Geländer« statt. Die Mitarbeiter laden zur digitalen Beteiligung an der bundesweiten Lichtaktion #LichterGegenDunkelheit ein.

 

Mitmachen ist einfach: zum bundesweiten Gedenktag am 27. Januar sind alle eingeladen, zu Hause eine Kerze zum Gedenken an die im Nationalsozialismus ermordeten Menschen zu entzünden. Anschließend können selbst erstellte Fotos und Videos der Kerzen unter den Hashtags #LichterGegenDunkelheit und #SachsenAnhaltErinnert in den sozialen Netzwerken veröffentlicht werden. So entsteht eine digitale Lichterkette. 

 

Individuelle Foto- und Videobotschaften können auch per Mail geschickt werden an Gedenkstätte Gardelegen: info-isenschnibbe@erinnern.org.

 

Weitere Informationen finden Sie unter: https://gedenkstaette-gardelegen.sachsen-anhalt.de/news-detail/news/gedenkstaette-gardelegen-digitales-mitmach-gedenken-am-27-januar-2021/

Kinder, die ankamen und Kinder, die zurückblieben

Vortrag über Kindertransporte nach England mit Prof. Dr. Paul Weindling

26. Januar 2021 / Hochschule Magdeburg-Stendal, nur online

Zur Ringvorlesung an der Hochschule Magdeburg-Stendal im Rahmen von »Denken ohne Geländer« hatte Dr. Sevasti Trubeta am 26. Januar den renommierten Historiker Prof. Dr. Paul Weindling von der Oxford Brookes University eingeladen, um über die Kindertransporte zu sprechen, die von Dezember 1938 bis zum Mai 1940 jüdische Kinder aus Wien und anderen vom NS-Regime besetzten Ländern vor allem nach England brachten.

 

Jüdische Hilfsorganisationen und karitative Verbände in England und Deutschland begannen nach der sogenannten »Reichskristallnacht«, dem reichsweit organisierten Pogrom, Kindertransporte zu organisieren. Vor allem jüdische Kinder aus sozial benachteiligten Familien sollten die Möglichkeit bekommen, den zunehmenden Repressalien und Gefahren des Nationalsozialismus zu entfliehen. Die Kinder kamen in Gastfamilien, Heime oder Ferienlager. Ältere Kinder zwischen 16 und 18 Jahren wurden in der Landwirtschaft und in der Krankenpflege ausgebildet.

 

Die Abwicklung und Organisation sollte geordnet erfolgen. Neben der staatlichen Vorgabe, einen Bürgen zu stellen, der sicherstellen musste, dass die Kinder Großbritannien nichts kosten würden, mussten die Kinder u.a. einen Gesundheitsnachweis erbringen. Die auf englischer Seite zuständige Lola Hahn-Warburg forderte außerdem, dass nur Kinder zugelassen werden, die ›geistig gesund‹ und ›intelligent‹ waren. Kinder, denen zugeschrieben wurde, psychisch krank, lernschwach oder schwer erziehbar zu sein, wurden meist aussortiert. Diese Facetten der Selektion von Kindern ist bisher wenig betrachtet worden, gehört jedoch zu den schmerzlichen Schattenseiten der Kindertransporte, so Prof. Weindling.

 

An Hand von Fotos und Dokumenten der Transporte von Wien zeigte Prof. Weindling anschaulich, was der bürokratische Auswahlakt für die einzelnen Kinder und Familien bedeutete. Einige der Kinder, die zurückgewiesen wurden, überlebten, die meisten wurden in die östlichen Vernichtungslager deportiert und dort ermordet. Unter den beispielhaft aufgezeigten Einzelschicksalen von Kindern, die sich um einen Transport nach England bemüht hatten, stellte Prof. Weindling auch seine Mutter Erika Gutmann vor. Sie hatte Glück, wurde ausgewählt und überlebte den Holocaust.

 

Betont wurde eine enorme Selbständigkeit der Kinder. Um aus ihrer bedrohlichen Gegenwart in eine hoffnungsvollere Zukunft zu entfliehen, holten sie oft ohne Hilfe von Erwachsenen, Erkundungen ein, schrieben Briefe mit Gesuchen und Selbstbeschreibungen. Nicht alle hatten damit Erfolg. Die Überlebenden erhielten erst im Jahr 2019 eine Entschädigung, wobei die als unangemessen empfundene Summe von 2500 Euro oftmals an Fluchthilfeorganisationen gespendet wurde. 

 

Nach dem Vortrag, an dem 116 Personen teilnahmen, beantwortete Prof. Weindling in einem ausführlichen Diskussionsteil viele Fragen, die auch einen Bogen zu heutigen Flucht- und Migrationserfahrungen von Kindern schlugen. Der Vortrag zeigte die Problematik der praktizierten Selektion und die Ambivalenzen unter den Helfer*innen und Organisator*innen auf. Er zeigte aber auch eine beispiellose Hilfsaktion. Etwas mehr als 9.000 jüdische Kinder konnten über England vor dem Holocaust gerettet werden. Prof. Weindling betonte neben den Schattenseiten, an die man am Vorabend des 27. Januar denke, solle auch mit Stolz an die vielen Menschen aus der Israelitischen Kultusgemeinde Wien und aus der britischen Aufnahmegesellschaft erinnert werden, die damals Leben gerettet haben. 

 

Bericht: Aud Merkel

ZIGEUNER-Boxer

Workshop zum Klassenzimmerstück über Diskrimierung und Gewalt

28. Januar 2021 / Theater der Altmark, nur online

Rike Reiniger / Foto: Assmann Berlin

Dr. Sevasti Trubeta / Foto: privat


Die Geschichte des Boxers Johann Trollmann hat Autorin Rike Reiniger zu einem Klassenzimmerstück für einen Schauspieler bearbeitet. Das Theater der Altmark bereitet derzeit die Inszenierung »Zigeuner-Boxer« vor und lädt im Rahmen von »Denken ohne Geländer« zu einer Online-Veranstaltung am 28.1. um 16 Uhr ein.

 

Johann Wilhelm »Rukeli« Trollmann, genannt Ruki und 1907 in Hannover geboren, stieg in den 1930er Jahren zum besten deutschen Boxer auf. Im Jahr 1933 wurde er Deutscher Meister im Halbschwergewicht. Als Sinto wurde er jedoch zunehmend diskriminiert, in das KZ Neuengamme deportiert und 1944 im Außenlager Wittenberge ermordet.

 

Rike Reiniger entwickelte aus der realen Geschichte ein fiktives Theaterstück über die Freundschaft zweier Boxer, die im Nationalsozialismus nicht bestehen durfte. Die persönliche Erzählung aus Perspektive von Hans bietet reichlich Stoff, um über aktuelle Haltungen zu Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt zu diskutieren.

 

TdA-Dramaturgin Sylvia Martin hat neben der Autorin auch Dr. Sevasti Trubeta von der Hochschule Magdeburg-Stendal eingeladen, die in Stendal über Minderheiten, Migration und Rassismus lehrt und forscht. Gemeinsam sprechen sie über die Entstehung des Stückes, über historische Kontexte und aktuelle Bezüge. Schauspieler Paul Worms liest Auszüge aus dem Theaterstück.

 

Anmeldungen zu dieser Online-Veranstaltung sollten rechtzeitig über die Theaterkasse 03931 - 63 57 77 oder unter besucherservice@tda-stendal.de gerichtet werden.

Familie Brasch

Ostdeutsch-jüdische Geschichtserfahrungen

28. Januar 2021 / Hochschule Magdeburg-Stendal, Audimax oder online

Ofer Waldman / Foto: Tal Alon
Ofer Waldman / Foto: Tal Alon

Mit dem Dokumentarfilm »Familie Brasch« von Annekatrin Hendel und einem anschließenden Vortrag von Dr. Ofer Waldman wendete sich »Denken ohne Geländer« am 28. Januar deutsch-jüdischem Leben in der DDR zu. »Jüdisch sein« spielt über die Erwähnung der Herkunft hinaus im Film kaum eine Rolle. Im Vordergrund steht der Konflikt zwischen einer Generation, die nach dem zweiten Weltkrieg voller Ideale ein »besseres Deutschland« aufbauen wollte, und ihren Nachkommen, die das Versprechen vom Sozialismus nicht eingelöst sehen. Erzählt wird die Familiengeschichte aus der Perspektive von Radiomoderatorin Marion Brasch, Jahrgang 1961. Sie ist die einzige, die es noch kann: Ihre Eltern und Brüder leben nicht mehr. 

 

Vater Horst Brasch (1922–1989) gehörte mit Erich Honecker zu den Gründungsmitgliedern der FDJ in der sowjetischen Besatzungszone und stieg in der jungen DDR schnell die Karriereleiter hinauf. Als höchste Stufe erreichte der SED-Funktionär das Amt des stellvertretenden Kulturministers. Seine zwischen 1945 und 1955 geborenen drei Söhne Thomas (1945–2001), Klaus (1950-1980) und Peter (1955-2001) wählten als Schriftsteller und Schauspieler den Weg in die Kunst und in die Opposition. Gesamtdeutsch am bekanntesten wird der Älteste, der Poet, Dramatiker und Regisseur Thomas Brasch. Mehrere seiner Theaterstücke durften in der DDR nicht aufgeführt werden oder verschwanden schnell wieder vom Spielplan. 1976 unterzeichnete er die Resolution gegen die Ausbürgerung des kritischen Liedermachers Wolf Biermann aus der DDR und siedelte im selben Jahr mit seiner damaligen Lebensgefährtin Katharina Thalbach nach Westberlin über. Eine Rolle dabei spielte wohl auch das Veröffentlichungsverbot einer Sammlung von Prosatexten, die später in Westdeutschland unter dem Titel »Vor den Vätern sterben die Söhne« ein großer Erfolg wurde.

 

Die Reibung zwischen dem autoritären Vater und dem ältesten Sohn nimmt viel Raum ein in der sehr persönlichen und bewegenden Dokumentation über die Familie Brasch. Alle drei Brüder rebellierten gegen das System. Es waren jedoch die politischen Aktivitäten von Thomas, die Horst Brasch letztlich sein hohes Amt im Kulturministerium kosteten. Es half auch nicht, dass er seinen Sohn, als der sich 1968 mit der Reformbewegung »Prager Frühling« solidarisierte und Flugblätter verteilte, selbst bei den Genossen anzeigte.  

 

Der Musiker, Journalist und Radioautor Dr. Ofer Waldman befasste sich in seiner Dissertation, der ersten Doppelpromotion an der Freien Universität Berlin und der Hebrew University in Jerusalem, intensiv mit Thomas Brasch. In seinem Vortrag nach dem Film setzte er die jüdische Herkunft der Eltern in Beziehung zum Leben der Familie und zur deutsch-jüdischen Geschichte der DDR. Horst Brasch wurde als jüdisches Kind geboren, wuchs beim Stiefvater in Bayern auf und konvertierte zum Katholizismus. 1939 gelangte er als 16-Jähriger mit einem der letzten Kindertransporte nach Großbritannien. Dort lernte er seine künftige Frau Gerda kennen (1921–1975), eine Jüdin aus Wien, die vor der nationalsozialistischen Verfolgung nach London geflohen war. 1946 ging Horst Brasch in die sowjetisch besetzte Zone nach Ostberlin, Gerda folgte ihm später mit dem in England geborenen gemeinsamen Sohn Thomas.

 

Ofer Waldmann sieht den Weg Horst Braschs im Kontext der Geschichte »von Jüdinnen und Juden, die bewusst in die sowjetische Besatzungszone, in die DDR, zurückgekehrt sind, um das bessere Deutschland aufzubauen.« In der DDR habe es eine jüdische Identifizierung mit einem deutschen Nachkriegsstaat gegeben, die in der BRD so undenkbar gewesen sei. Der Kommunismus diente als »die rote, goldene Brücke zurück zum deutschen Gemeinwesen«. Waldmann streifte in seinen Ausführungen die Rolle der Jüdinnen und Juden als Teil der Staatsideologie in der DDR, ihre Instrumentalisierung durch das um internationale Anerkennung kämpfende Land und kehrte immer wieder zu den persönlichen Schicksalen in der Familie Brasch zurück. 

 

Kann man bei den Braschs von einer jüdischen Biografie sprechen? War Thomas Brasch ein jüdischer Autor? Fragen, die der Referent in seinem Vortrag aufwarf. »Jude war ich nur nach den Rassengesetzen der Nazis. Ich war Katholik und jetzt bin ich Kommunist«, antwortete Horst Brasch seiner erwachsenen Tochter Marion, als diese etwas über sein Verhältnis zum Judentum wissen möchte. Bei Thomas Brasch treten jüdische Themen explizit erst nach der Übersiedelung in den Westen hervor. Dort redet er offen über seine jüdische Herkunft. »Aber wo findet die Auseinandersetzung damit statt?«, fragt Waldmann und antwortet selbst: »Ich bin der Meinung, sie findet in der Literatur statt.« Das Wissen um Thomas Braschs jüdische Herkunft sei »hilfreich, interessant und aufschlussreich, um diese Literatur zu verstehen«, ebenso, wie die Biografie der Familie Brasch ohne ihre jüdische Herkunft nicht zu verstehen sei.  

 

Bericht: Edda Gehrmann

Mehr zum Thema:


Marion Brasch: Ab jetzt ist Ruhe. Roman meiner fabelhaften Familie, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012

 

Unkündbare Beziehungen | Mimeo (dubnow.de)

Ostdeutscher Antisemitismus: Wie braun war die DDR? | bpb

Als ob wir nichts zu lernen hätten von den linken Juden der DDR ... | bpb

VOR UND NACH »HALLE«

Aktueller Antisemitismus und Gegenwehr

29. Januar 2021 / Hochschule Magdeburg-Stendal oder online 

Benjamin Steinitz / Foto: RIAS Berlin
Benjamin Steinitz / Foto: RIAS Berlin

Antisemitismus ist für Jüdinnen und Juden in Sachsen-Anhalt alltagsprägend. In welchem Ausmaß Menschen  davon betroffen sind, verdeutlichte die Online-Veranstaltung »Vor und nach ›Halle‹« am 29. Januar 2021 als Abschluss der Woche »Denken ohne Geländer«. Zu Gast waren Benjamin Steinitz und  Raphael Hoffmann vom Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus e.V. (RIAS) und die Künstlerin Anna Schapiro, Mitherausgeberin der Zeitschrift »Jalta - Positionen zur jüdischen Gegenwart«. 

 

Raphael Hoffmann stellte Kernaussagen der »Problembeschreibung Antisemitismus in Sachsen-Anhalt« vor, die RIAS im Auftrag der sachsen-anhaltischen Landesregierung erarbeitete. Dafür gaben zwölf Gesprächspartner*innen aus Jüdischen Gemeinden sowie zwei Vertreter*innen staatlich geförderter Gedenkstätten Auskunft.  Wie nehmen sie Antisemitismus im Alltag wahr? Welche Strategien haben sie im Umgang damit entwickelt? Welchen Handlungs- und Unterstützungsbedarf sehen sie? Um diese Fragen ging es in den Interviews, die wenige Monate vor dem rechtsextremen Terroranschlag auf die Synagoge in Halle am 9. Oktober 2019, an Jom Kippur, entstanden. Sie wurden später durch eine Nachbefragung ergänzt. Ob vor oder nach Halle: Sämtliche Interviewten und als jüdisch wahrgenommene Einrichtungen erleben Antisemitismus unmittelbar, sei es durch verletzende Ansprache, Beleidigung und Bedrohung bis hin zu Angriffen. Als besonders prägend werden latente Formen des Antisemitismus beschrieben. 

 

Antisemitische Vorfälle besprechen die Befragten überwiegend innerhalb der jüdischen Gemeinde. Nur ein Bruchteil davon kommt bei der Polizei zur Anzeige. Warum? Benjamin Steinitz verwies auf Untersuchungen von RIAS e.V. in verschiedenen Bundesländern. Befragte äußerten als Gründe unter anderem, dass sie schnell mit diesem Geschehen abschließen wollten, den hohen bürokratischen Aufwand im Verhältnis zu den geringen Erfolgschancen einer Anzeige scheuten und bereits schlechte Erfahrungen damit gemacht hätten. Andere befürchteten negative Konsequenzen für ihre Sicherheit  und gaben fehlendes Vertrauen in die Polizeibehörden an. Antisemitisches Verhalten werde oft nicht als solches erkannt oder in Abrede gestellt, so Steinitz. Die Opfer müssten ihre Erfahrung rechtfertigen.

 

Gegen das Schweigen entschieden sich die Nebenkläger*innen im Prozess gegen den Attentäter von Halle, hauptsächlich Menschen, die während des Anschlags in der Synagoge waren. Anna Schapiro war im Gerichtssaal dabei und schilderte ihre Eindrücke, beeindruckt von der Stärke, mit der die Nebenkläger*innen auftraten. »Sie haben den Prozess gestoppt, wenn rassistische, antisemitische oder menschenfeindliche Dinge gesagt wurden. Es war wie eine Form von Unterricht«, so Schapiro. Die Medien wurden von ihnen aufgefordert, den Täter nicht zu zitieren, nicht zu zeigen und seinen Namen nicht zu nennen, um sich nicht an einer Heroisierung zu beteiligen. »Wir müssen ihnen dankbar sein für den Mut, aber auch die Klarheit, einen Beitrag zum Verständnis jüdischer Lebenswelten zu leisten«, sagte Schapiro und wies auch auf die Veröffentlichung der Schlussworte der Nebenkläger hin. Eine von ihnen, Talya Feldmann, erklärte u. a.: »Keine der hasserfüllten Verschwörungstheorien, die dieser Mann von sich gegeben hat, ist neu. Wir haben jede einzelne schon gehört. Und wir wissen, wohin sie führen. Wir wissen, was passiert, wenn diese Propaganda und diese Sprache sich ungehemmt ausbreiten kann. Deutschland weiß es. Ich weiß es.«

 

In der Untersuchung des Antisemitismus in Sachsen-Anhalt lautet das bittere Fazit: Keine*r der Befragten glaubt daran, dass ein ungetrübtes jüdisches Leben möglich ist. Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus e.V. empfahl der Landesregierung,  auch in Sachsen-Anhalt eine zivilgesellschaftliche Meldestelle für antisemitische Vorfälle einzurichten. Entscheidend für deren Erfolg sei die Orientierung an der Perspektive der Opfer und enge Kooperation mit jüdischen Akteur*innen vor Ort. »RIAS kann ein guter Knotenpunkt sein, um die Betroffenen konkreter und spezifischer anzusprechen. Vorfälle müssen gemeldet werden, damit sie bekannt werden«, sagte Raphael Hoffmann. Die neue Meldestelle soll in Halle entstehen. 

 

Vertreter*innen von Koordinierungsstellen und Vereinen, Multiplikator*innen, Sozialarbeiter*innen und weitere Interessierte waren bei der  Online-Veranstaltung »Vor und nach ›Halle‹« dabei. Sie diskutierten über eigene Erlebnisse und Sichtweisen und nutzten das Forum, um sich miteinander zu vernetzen. »Es ist notwendig, sich mit allen Formen des Antisemitismus zu beschäftigen, genauer hinzusehen«, fasste Prof. Dr. Katrin Reimer-Gordinskaya von der Hochschule Magdeburg-Stendal als Mitveranstalterin  von »Denken ohne Geländer« zusammen. Für Wolf E. Rahlfs, Intendant des mitveranstaltenden Theaters der Altmark, bleibt in der Summe »eine große Nachdenklichkeit zu diesem Thema«, auch in Bezug auf die weitere Gestaltung der (Ge)denkwoche.

Hinweise:


Zu »Problembeschreibung Antisemitismus in Sachsen-Anhalt« RIAS siehe weiter unten.

Dokumentation der Schlussworte im Halle-Prozess - Hört den Überlebenden zu! | VBRG (verband-brg.de)

LANDESDEMOKRATIEKONFERENZ UND GEDENKEN IN HALLE

Ein Jahr nach dem Attentat in Halle – Gemeinsam gegen Antisemitismus und Rassismus

Am 9. Oktober 2020 jährte sich der antisemitische und rassistische Terroranschlag von Halle zum ersten Mal. Im Rahmen des Gedenkens fand neben verschiedenen Gedenkveranstaltungen auch die Landesdemokratiekonferenz »Ein Jahr nach dem Attentat in Halle – Gemeinsam gegen Antisemitismus und Rassismus« mit Expert*innen zur Analyse und zur Entwicklung von Gegenstrategien statt.

 

Vertreter*innen der Jüdischen Gemeinde, der Zivilgesellschaft sowie des Bundes und des Landes verständigten sich darüber, wie Antisemitismus und Rassismus der Nährboden entzogen und wie derartige Angriffe verhindert werden können.

 

Max Privorozki, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, betonte, dass Demokratie gepflegt und verteidigt werden müsse. In vielen Ländern bezahlten Menschen mit ihrer Freiheit und ihrem Leben dafür, dass die Blume der Demokratie aufblüht, und bei uns sei sie da, aber gefährdet. »Es geht nicht nur um Antisemitismus, Rassismus, es geht auch um Hass, Aggression, Intoleranz in der Gesellschaft, und die ist wirklich tödlich.«

 

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte im Anschluss auf der Gedenkveranstaltung: »Menschenfeindlichkeit trifft nicht jeden, aber sie betrifft uns alle. Denn sie ist ein Angriff auf die offene Gesellschaft. Sie trifft unsere Demokratie ins Herz. Das dürfen wir nicht zulassen! Und ich bin sicher, die meisten Menschen in unserem Land wollen das nicht zulassen. Deshalb lassen Sie uns zusammenstehen, Christen, Juden und Muslime, Gläubige und Atheisten, Ost- und Westdeutsche, neu Zugewanderte und Alteingesessene. Wir stehen zusammen gegen Antisemitismus, gegen Rassenhass, gegen Muslimfeindlichkeit, gegen Menschenfeindlichkeit. Hier in Halle und überall in Deutschland.«

 

Prof. Dr. Katrin Reimer-Gordinskaya und Jürgen Lenski nahmen an der Landesdemokratiekonferenz teil. DENKEN OHNE GELÄNDER schrieb der Jüdischen Gemeinde Halle nach dem Attentat diesen Brief.

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PROBLEMBESCHREIBUNG: ANTISEMITISMUS IN SACHSEN-ANHALT

Studie vom Bundesverband RIAS e.V. im Auftrag der Landesregierung Sachsen-Anhalt

Die Problembeschreibung beruht auf einer Befragung von Mitgliedern jüdischer Communities, die ihre Erfahrungen mit Antisemitismus schildern und die bisherigen Umgangsweisen in LSA mit ihm einschätzen. 

Zudem werden polizeiliche und zivilgesellschaftliche Daten zu antisemitischen Vorfällen und Straftaten im Bundesland vergleichend analysiert, wodurch das Dunkelfeld teilweise ausgeleuchtet werden kann. 

Hier kann die vollständige Studie abgerufen werden:

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VÖLKISCHE LANDNAHME

Alte Sippen, junge Siedler, rechte Ökos

Anfang Oktober fand in Stendal eine Buchpräsentation mit Andreas Speit, organisiert von der Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt, statt. Es gab viele Nachfragen und Redebeiträge, weil sich die Zivilgesellschaft in der Altmark-Region mit diesen Erscheinungen unmittelbar auseinandersetzen muss.

 

Seit Jahren siedeln sich junge Rechtsextreme bewusst in ländlichen Regionen an, um dort generationsübergreifend »nationale Graswurzelarbeit« zu betreiben. Dieser unauffällige Aktionismus ist gegen die moderne und liberale Gesellschaft der Großstädte gerichtet, es herrschen alte Geschlechterbilder und autoritäre Erziehungsmuster vor. Die Aussteiger von rechts betreiben ökologische Landwirtschaft, pflegen altes Handwerk und nationales Brauchtum, organisieren Landkaufgruppen und eigene Wirtschaftsnetzwerke, die bundesweit agieren. Sie bringen sich in örtlichen Vereinen ein und gehen in die lokale Politik, um Umweltschutz mit »Volksschutz« zu verbinden und eine angebliche »Überfremdung« zu verhindern.

 

Die beiden ausgewiesenen Rechtsextremismus-Experten Andrea Röpke und Andreas Speit verfolgen seit Jahren diese kaum beachtete Entwicklung. Sie zeigen die historischen Wurzeln und aktuellen Vernetzungen auf, die bis in die Parlamente reichen. Dabei wird deutlich: Hier handelt es sich um eine unterschätzte Gefahr. 

 

Andrea Röpke/Andreas Speit, Seiten: 208, Bonn 2019, Bestellnummer: 10311. Das Buch kann bei der Bundeszentrale für politische Bildung bestellt werden.